auszug aus veröffentlichung im herrschingspiegel online von barbara geiling 16.o9.2o16
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Wer bei Fotographien in erster Linie an die mitgebrachten Urlaubsfotos denkt, der wurde bei einem Besuch im Kurparkschlösschen schnell eines Besseren belehrt. Eindrucksvoll zeigten vier Fotografen im Rahmen des „Kunstrausch 2016", wie vielschichtig ihre Kunstform ist und welche Ausdruckskraft in ihnen stecken kann. Ob extreme Landschaften, kambodschanische Villen, ruhende Fahrgeschäfte auf dem Oktoberfest oder Bilder, die durch die Wahl ihres Ausschnitts ein ganz eigenes Leben erhalten: Glück hatte, wer diese Bilder sehen durfte. Vier Fotografen aus Herrsching, Weßling und München, die mit ihren Arbeiten eine Vielseitigkeit und Ausdruckskraft zeigten, die einen lange im Schloss verweilen ließ.
Da waren gleich im Eingangsbereich die Fotographien von Sanne Blessing aus Weßling. Seit sie als Jugendliche ihre erste Spiegelreflexkamera geschenkt bekam „fotografiere ich eigentlich immer" sagt die gelernte Floristin und Architektin. Die Wahl des Ausschnitts ist der Fokus ihrer Arbeiten, in denen sie die Welt um uns herum präsentiert. Als Einzelwerk oder in Kompositionen zusammengestellt fordern die kleinformatigen Bilder den Betrachter dazu auf, genau hinzuschauen – was übrigens auch auf die Auswahl ihrer Rahmen zutrifft. Schon im Eingangsbereich lässt eine Installation rätseln, was sich hinter den schweren Holzrahmen mit Scharnieren, Schlüsseln und Griffen verbirgt. „Zwei alte Beichtstuhltüren, die mir auf einer meiner Baustellen unter die Hände kamen" löst die Architektin das Rätsel. Genau hinschauen also nicht nur bei der Bildauswahl!
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auszug aus veröffentlichung im weilheimer merkur von magnus reitinger o3.o8.2o15:
Die Kunst der Begegnung - 34 Maler, Bildhauer und Fotografen bieten an vier Stationen viel Idyllisches, aber auch spannende Kontraste ...
Mehr als gelungen auch die Gegenüberstellung in der Torbogenhalle (Klosterhof): Welch reizvollen Kontrast bilden hier Sanne Blessings Fotominiaturen und Dorothea Cravens knallig große Poolszenen - u... Die Kunst der Begegnung gelang hier perfekt...
einführung zur ausstellung ´fügen´ von peter götz im mai 2o15
Fotos mit Alphatieren - Sanne Blessings Ausstellung “Summe” oder das Prinzip der Montage – als Möglichkeit, Wirklichkeit neu zu erschaffen und Realität neu zu deuten.
Betrachtet man die Arbeit von Sanne Blessing summarisch, so lassen sich drei Ebenen des Handelns erkennen: der Blick, das Erkennen von Wirklichkeit und ihres transformierbaren Potentials im Motiv, sei es im Akt des fotografischen Aufnehmens oder bei der Auswahl aus dem eigenen Bildarchiv, die Montage, die neue Deutung von Realität durch Kombination, dem meist die Bearbeitung des Einzelbilds durch Beschnitt vorausgeht und die Arbeit am Objektcharakter durch Einbringung nichtfotografischen Materials mit eigener Haptik und Plastizität. Fotografische, bildgestalterische und bildhauerisch-plastische Handlungsweisen greifen ineinander und verzahnen sich.
Nachdem die Vielgliedrigkeit in Blessings Tableaus eine immer bestimmendere Wirkung entfaltet und in der in der Ausstellung in Raisting neu vorgestellten 10-teiligen Werkgruppe der “Summen” unübersehbar das zentrale Ordnungsmerkmal bildet, lag es nahe, sich im Rahmen einer Einführung diesem Gestaltungsprinzip zuzuwenden und den Mechanismus des Zusammenspiels der Teile und das Entstehen eines neuen Ganzen exemplarisch an einem konkreten Beispiel dieser Gruppe zu betrachten.
Die neue Werkgruppe der “Summen”
Zu ihrer Entstehungsgeschichte erläutert Blessing: Sie habe die Absicht gehabt, Bilder in kleinen bergenden (Archiv)kartons zu zeigen, diese Behältnisse später aber der Einfachheit halber aus Papier gefaltet. Ein Prototyp sei entstanden mit erinnerungsweise 7 mal 10 Bildern. Gestört habe sie an dieser Anordnung, dass er eine spürbare Mitte ausgebildet habe, worauf sie beschlossen habe, das Fotomaterial zum Quadrat zu beschneiden und sich auf ein Feld von 6 mal 6 Bildern zu beschränken. Mit Blick auf die weiße Farbe der Papierrahmen habe sie sich bei der Auswahl nicht für die Option starkfarbiger, sondern für schwachfarbige, tendenziell farblose Bilder entschieden und aus ihrem Archiv 400 entsprechende Motive ausgesucht und davon Abzüge machen lassen. Der Umgang mit der unübersichtlich anmutenden Menge der Bilder sei eher einfach gewesen, es hätten sich rasch Kerne von zwei, manchmal drei Fotos gebildet. Unter den Fotos hätten sich eben Alphatiere gezeigt.
Im Gespräch, das wir am 9. Januar 2015, dem Eröffnungsabend, vor dem Objekt “summe 05” führen, bemerkt ein Besucher: Wenn ich die „summe“ wie ein Buch von links nach rechts lese, bleibt das Auge immer wieder an bestimmten Bildern hängen. Wir gehen der Frage nach möglichen Alphatieren auf den Grund, und versuchen Bilder mit einer besonderen ästhetischen Ausstrahlung oder einer Schlüsselstellung aufzuspüren. Und erkennen schnell, dass es nicht nur prominente Einzelbilder gibt, sondern dass unter den im Objekt versammelten Bildern vielfältige Verknüpfungen bzw. Bindewirkungen angelegt sind.
Diese basieren auf verschiedenen Mechanismen. Auf der Ebene der Form gehören dazu Ähnlichkeiten in der graphisch-visuellen Struktur (linearer Art: 2. Reihe, 4. Bild von links und der Stern in der 3. Reihe, oder kreisförmiger Art: 2. Reihe, 2. und 3. Bild und die Schnecken in der unterste Reihe), in der Farbe, im Kontrastverhalten (unterste Reihe links und rechts), auf Bindung durch Kontrast z.B. im Figur-Grundverhältnis (3.Reihe, 3. Bild und 2.Reihe, 2. Bild) oder auf der Bindung durch Lagebeziehung (Nachbarschaft, Symmetrie, Reihung in der Diagonale). Auf inhaltlicher Seite finden wir Bindung durch gleiche Gegenständlichkeit bei unterschiedlicher Maßstäblichkeit (1. Reihe, 2. und 6. Bild) oder thematische Verwandtschaft im Motiv (Blüten mit Stempeln, Nischen, Skulpturen, repetitive Muster). Zum Teil bedienen einzelne Bilder mehrere Dimensionen gleichzeitig.
Wir erörtern die Frage, wie es gelingen kann, dass sich Fotos aus unterschiedlichen Gegenstands- und Wirklichkeitsbereichen problemlos miteinander ins Gespräch bringen lassen, Bilder aus Bereichen der Technik, der Architektur und der Natur, die in der Realität so vermutlich nie miteinander in Berührung kommen. Ein Teilnehmer erklärt: Am wichtigsten erscheint mir, dass alle Bilder in der Farbgebung relativ ähnlich und die gezeigten Bildausschnitte relativ klein sind. Da in der Präsentation bereits so viel [reale] Tiefe existiert, ist es eher unwichtig, ob ein Bild stärker Räumlichkeit hat oder nur Struktur darstellt: Dass jedes Bild reduziert wird auf eine Farbgebung und auf eine Struktur, ist das, was das Ganze m.E. am meisten verbindet. Sicher bewirkt auch ein klug begrenzter Bild- bzw. Objektausschnitt, durch den Räumlichkeit und Körperlichkeit zurückgedrängt und aufschlussreicher Kontext verunklärt wird, dass der abbildliche Realitätscharakter aufgeweicht und zugunsten einer stärkeren Verdinglichung des Bilds im konkreten Sinn gestärkt wird. Für den Wahrnehmungsprozess bedeutet das, dass inhaltliche Ordnungs- und Orientierungsversuche zugunsten visuell gesteuerter Aktivitäten zurückgestellt werden. Inhaltsbetonte, bedeutungsbezogene Sehweise tritt zurück zugunsten einer Aktivität des Formsehens, in dem Ähnlichkeiten auf visueller Ebene den Gang des Blicks bestimmen. Dass diese Zurücknahme von Eindeutigkeit Rückwirkung auf das Bewusstsein des Wahrnehmenden hat und ihn – denkt man an die komplexe Gleichzeitigkeit des 36fach Verschiedenen – in einen Schwebestand des Bewusstseins versetzt, scheint selbstverständlich. Die mögliche Folge: ein verändertes Zeitbewusstsein und ein verändertes Gefühl für Gegenwart und Gegenwärtigkeit.
Die Frage nach dem Zusammenhalt kehrt wieder und damit nach dem übergeordneten Gestaltungsprinzip, das die erzeugten Spannungen auszuhalten vermag. Die tatsächliche Getrenntheit der einzelnen Bildobjekte und die Art ihrer räumlichen Präsentation macht ein Teilnehmer für den starken Zusammenhalt des Objekts verantwortlich. Ich glaube, dass es überhaupt nicht funktioniert, wenn nicht Grenzen zwischen den einzelnen Bildern wären; und dass es extrem wichtig ist, dass Tiefe durch die Präsentation entsteht und nicht durch das einzelne Foto; und dass dadurch das Ganze harmoniert. Anzumerken bleibt, dass die in der Rahmung eingeführte konkrete Materialität den abbildenden Charakter der Bilder tendenziell zurücktreten lässt und ihren eigenständigen, dinglichen Objektcharakter weiter stärkt.
Viele Aspekte dieser Arbeit haben wir nur gestreift, manche gar nicht angesprochen, wie z.B. die Frage, welche Auffassung von Realität sich einstellt. Aber das kann letztlich nur Ansporn sein, dem Geheimnis der Wirkung dieser Arbeiten weiter und tiefer auf die Spur zu kommen.
auszug aus veröffentlichung im ammerseekurier von nue ammann o6.o2.2o15
Artikulationen im Raistinger Kulturhaus - Vier Künstler im Kulturhaus: Christian Egner, Sanne Blessing, Helmut Hager, Otto Scherer
Im Kulturhaus der Otto-Hellmeier-Stiftung sind aktuell zwei Sonderausstellungen zu sehen, zum einen objekthaft montierte Fotografien, sogenannte `Blickwerke` von Sanne Blessing, zum anderen Plastiken und Installationen von Christian Egner, Helmut Hager und Otto Scherer.
Obwohl sehr unterschiedlich in Aussage und Anmutung, ist die Kombination der beiden Ausstellungen eine harmonische Koexistenz. Während die Arbeiten von Christian Egner, Helmut Hager und Otto Scherer raumgreifend sind und schon durch ihre Farbigkeit (Schwarz, Weiß und Rot) effektvoll den Raum beherrschen, füllen die hauptsächlich kleinteiligen Fotografie-Objekte die Atmosphäre.
...Sanne Blessing sammelt mit ihrer Kamera Eindrücke von Landschaften, Wasserflächen, Pflanzen, Gestein aber auch von Kulturgütern wie Gebäude, funktionellen Bauwerken oder Gebrauchsmaterialien. Zumeist wählt sie nahe Einstellungen und kleine Bildausschnitte, die das Motiv im Sinne seiner Charakteristik verdichten.
Mit feinem Gespür für Farbigkeit und Bildsprache arrangiert sie daraus mehrteilige Kompositionen, die zu einer spielerischen und assoziativen Betrachtung einladen. Durch die Zusammenstellungen der Fotos entstehen Mehrfachaussagen, die den Inhalt der Einzelbilder verstärken, oder aber als Weiterführung zu einem komplexeren Bildthema dienen.
So wird eine Sammlung von Einzelaufnahmen von Bauschrott zu einer Art Hommage an den Erfindungsreichtum des Menschen, oder aus Materialstudien über grüne Wickelfolie von Ballensilage ein mahnender Abgesang an organische Wachstumsstrukturen.
Während ihr fotografisches Werk an sich sowie die Kompositionsleistung durchweg überzeugen, bleibt die Fassung der Bilder zu montierten Objekten in den meisten Fällen dahinter zurück.
Bemerkenswert gelungen sind jedoch die beiden `Blüten´- Werke, die jeweils eine Blüte, aufgesplittert in 81 perspektivisch leicht verschobene Bildquadrate auf unterschiedlicher Höhe präsentieren, so dass trotz der streng geometrischen Anordnung der Eindruck von Bewegung und Leichtigkeit entsteht.
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auszug aus veröffentlichung im weilheimer tagblatt von andreas bretting 12.o1.2o15
Im Gewimmel liegt die Ruhe - Sanne Blessings Fotokunst im Hellmeier-Museum
Bei 36 Miniatur-Fotos in einem einzigen Objekt müsste Geflirr vor den Augen entstehen. Doch Sanne Blessings Arrangements aus Analog-Fotos strahlen Ruhe aus und Konzentration. Vier mal vier Zentimeter messen die Kleinstabzüge, die in Raistings Otto-Hellmeier-Kulturhaus zu sehen sind und fast durchwegs Motive von innerer Ruhe und fokussierter Aufmerksamkeit zeigen. Zusätzlich geben Tönungen in Creme eine poesiehafte Zartheit, die einlädt zum Nähertreten.
Dabei entdeckt man den inneren Kompass der Oberpfaffenhofenerin. Eine der `Summen´ hat gebogene Formen als Thema, realisiert in sanften Wellen. Eine andere `Summe´ - so der Ausstellungstitel - zeigt Linien. Überraschend wird eine Hochspannungsleitung durch sanfte Belichtung fast zerbrechlich, während Fußabdrücke im Meeressand mit hartem Kontrast gefasst sind.
Vor solch harten, ja technoiden Aussagen scheut Blessing keineswegs zurück - vielleicht blitzt da ihr Beruf als Architektin durch. Im Werk `Blüte´ arrangiert sie ein einziges Foto der selben Blume in 81 Mini-Quadraten. Jedes verschiebt den Bildausschnitt um einen Millimeter und steht auf einem Stahlstift von unterschiedlicher Höhe: ein Spannungsfeld von technischer Anmutung und dem Eindruck, als sei die Blüte vom Wind bewegt.
Zwischen Freiheit und Einengung schwankt die Aussage des monumentalen, fast drei Meter hohem Werks `Türen ´, das die Kassetten-Gefache einer massiven Holztüre als Bilderrahmen nutzt. Verkantet aufgestapelt zeigen die Abzüge Reise-Impressionen fern der Postkartenmotive, etwa eine Straßenkurve oder ein verfallendes Haus. Hier können beim Betrachten Geschichten im Kopf beginnen.
überlegungen von elisabeth lukas-götz historikerin
zu den blickwerken der ausstellung >fügen< in der galerie im bürgerhaus, gröbenzell
im rahmen der vernissage am 7. Juli 2o13
Ich werde zum Begriff „fügen“ etwas sagen, die drei neuen Arbeiten in der Ausstellung sagen und eine zusammenfassende Beschreibung dessen geben, was ich für das Typische an der Arbeit halte.
Da ich mich beruflich unter anderem mit Sprache beschäftige, möchte ich auch so ins Thema einsteigen: Die Ausstellungen von Sanne Blessing werden von ihr immer mit einem Titel belegt. Frühere Titel waren: „Blickwerk“, „Blickwerke im Ruffini“, „Blickfreigang“, „Wasser“, „Flugkunst“ – Titel, die stärker auf den Ausstellungsort und den -kontext bezogen waren.
Die aktuelle Ausstellung heißt „fügen“
Was bedeutet „fügen“ ?
fügen: etwas zusammenfügen, verfugen, etwas zusammenbringen
– eine Sichtweise, die bei einer Architektin vermutlich nicht ungewöhnlich ist
sich fügen: im Sinne von es fügt sich, es begibt sich glücklicherweise, es geschieht
sich fügen: im Sinn von sich fügen müssen, gehorchen, gezwungenermaßen einordnen
sich einfügen: wie sich einordnen in eine Reihe
Es gibt die Substantive
Fügung: einmal das konkrete Zusammenfügen von zwei Dingen und zum anderen Fügung als Schicksal, Fatum, Geschick
oder
die Fuge: einmal Ritze, Spalt
und zum anderen das Musikstück Fuge (dessen erstes Thema durch alle Stimmen führt): hier geht es um Polyphonie, um Vielstimmigkeit. Verschiedene Stimmen werden gegeneinander geführt, sie umkreisen sich. Das Thema der Fuge bekommt eine immer andere Bedeutung. Die Fuge ist artifiziell, sie kommt in der Hochmusik vor, ist eine bewusste Komposition.
Warum ich die musikalische Fuge so ausführlich beschreibe, werden Sie verstehen, wenn wir uns dem eigentlichen Thema des heutigen Abends zuwenden, den Arbeiten von Sanne Blessing:
Zwei grundsätzliche Beobachtungen kann man gleich machen: Wir sehen hier keine Bilder von Menschen. Es gibt keine Einzelbilder. Alle präsentierten Arbeiten sind komponiert, „zusammengefügt“.
Denn es geht nicht um das einzelne Bild. Es geht um die Mehrzahl, die Vielzahl des Beobachteten – vielleicht eine Hilfestellung für den Betrachter, die Assoziationen und die vielen Möglichkeiten des Motivs (etwa Bahngleise, Bootsstege, Eisflächen, Himmelsstimmungen ...) nicht selbst entwickeln zu müssen, sondern von der Fotografin (und Künstlerin) vorgelegt zu bekommen.
Und es geht in einer weiteren Stufe um eine Kombination, eine Collage, eine Verstärkung dessen, was das Einzelne zeigt. Erst in der Kombination entsteht das Ganze, das Bild, das Sanne uns, den Betrachtern, zu zeigen wünscht.
Es ist ungewöhnlich für einen Fotografen, eine Fotografin, dass nicht das einzelne Foto spricht, sondern die Zusammenfügung einzelner Elemente zu einem Bild. Das ist eine künstlerische Haltung, eine Haltung, die es aber dem Betrachter nicht unbedingt leichter macht, die Dinge zu entschlüsseln – das steht jetzt dem entgegen, was ich gerade gesagt habe, dass über die Vielzahl der Beobachtungen eine Hilfestellung entstehen könnte.
Dies, die sperrigere Wahrnehmung, gilt, glaube ich, gerade für die neueren Arbeiten, die hier ausgestellt werden.
Mit den neuen Arbeiten haben sich die Titel geändert. Während die früheren Arbeiten oft klare Benennungen hatten, etwa nach Farben: 9x weiß, grün … oder nach Naturphänomenen: Eis, Fels, Blüten, Regen … oder – schon differenzierter – nach der Technik: Pendants, Spiel …, bekommen die neuen Arbeiten komplexere, andere (Lebens-)Bereiche betreffende Titel. Sie heißen:
„Hauch“, „Bleibe“ und „Freiheit“.
Über die drei neuen Arbeiten möchte ich kurz reden:
„Hauch“ ist eine neunteilige Arbeit, die Einzelbilder sind jeweils gefasst in einem Rahmen wie in einer Schachtel und montiert auf einem Bildträger, der wiederum von einer Schachtel umfasst ist. Die einzelnen Bilder kombinieren Schweres und Leichtes – Stein und Eisen und Blatt und Stoff, zeigen Risse im Harten, zeigen in der Blüte, dem Blatt die Vergänglichkeit. Sie scheinen wie überpudert zu sein. Es geht um Grafik, es geht um Farbe.
Die zweite Arbeit, „Bleibe“, ist eine Kombination von zwei Elementen: eine vierteilige Arbeit in einem Holzkasten (Fensterrahmen), die Fotos von Vorgärten, Fenstern, Gartenzwergen zeigt und daneben im gleichen Format eine einteilige Tafel, die eine abgewohnte Tapete zeigt. Oben im Bild sind noch die gläsernen Tropfen eines Kronleuchters zu sehen, unten leuchtet ein Lichtfleck auf.
Hier lässt sich die Frage nach der Ironie in den Arbeiten stellen. Gibt es Ironie bei Sannes Bildern? Oder sind sie doch sehr ernst?
Diese Arbeit hat, schon im Titel „Bleibe“, deutlich ironische Züge: so z.B. rechts oben der Gartenzwerg, der so freundlich aus dem Fenster schaut, überhaupt die Vorgartenidyllen und -inszenierungen. Es erinnert auch an „Schneewittchen und die sieben Zwerge“: Die Vorgärten spiegeln die (kleine) Zwergenwelt wieder, der kleine Zwerg lädt ein zum Eintreten, der Blick auf die Wand des einteiligen Bildes gibt das Innere des Zwergenhauses wieder – der etwas verkommene Glanz einer schönen Welt deutet auch auf die Heimat Schneewittchens hin. In der Mischung aus Prunk und Abgelebtheit im rechten Bild liegt jedoch auch etwas rätselhaft Tragisches, das vielleicht durch den Lichtfleck am unteren Bildrand wieder aufgehoben wird. Insgesamt wirkt diese Arbeit, nach dem ersten Blick der Leichtigkeit und fröhlich-ironischen Haltung, irritierend, vielleicht verstörend und rätselhaft.
Am stärksten verrätselt tritt die dritte Arbeit entgegen: „Freiheit“, eine Installation, die aus vier Einzelarbeiten besteht, je zwölf Fotos montiert in gleiche Metallrahmen, die jeweils um 90 Grad gedreht sind. Die Einzelarbeiten haben unterschiedliche Themen und Titel – verführt (Spiegelungen), abgeführt (Stacheldraht), geführt (Gleise), entführt (Bootsstege) – und kreisen doch um ähnliche Fragestellungen.
Es geht um Aspekte des Lebens, die jeder vermutlich schon in irgendeiner Weise und in unterschiedlicher Intensität erlebt hat und die hier symbolisch anhand von Gleisen, Bootsstegen, Stacheldraht und Spiegelungen gezeigt werden. Jeweils ein „Augenpaar“ ist in den Arbeiten einmontiert und beobachtet oder vertritt den Betrachter oder/und den Betrachteten.
Wenn man versucht, zusammenfassend zu beschreiben, was die Arbeit von Sanne ausmacht, sieht man 2 Stränge in ihrer Tätigkeit:
Der eine ist das Fotografieren, das sie seit sie 16 ist, macht (übrigens immer noch analog), ein Tun, das vermutlich automatisch, fast unbewusst passiert, mit der Kamera als 3. Auge,
Das andere ist das Kombinieren, das Komponieren, das Zusammenfügen – und da gibt es eine Wandlung (die man auch hier in der Ausstellung nachvollziehen kann). Die Ergebnisse werden komplexer. Ihre Arbeit wird zunehmend eine bildhauerische. Aus der Kombination von gleichwertigen Bildern (wie in der „Störung“) wird eine Spiel von Groß und Klein (wie in den „Pendants“), plastische Elemente treten hinzu (wie in „Blüten“), bis hin zu den Objektkästen (in „Hauch“, „Bleibe“ und „Freiheit“), die ein haptisch-plastische Element einbringen.
Sanne verfremdet nicht die Einzelbilder, sie bleiben unangetastet, werden nicht überarbeitet – außer in der Ausschnittwahl. Eine Verfremdung tritt ein über die Komposition, neue Welten entstehen, zunehmend in den neuen Arbeiten. Auch das Generalthema wird komplexer: Aus dem Zusammensetzen, dem Bauen wird immer stärker eine Suche nach dem Existentiellen (wie die Titel zeigen), eine Annäherung an ein inneres Bild.
Sanne sucht Klarheit in der Vielheit. Über viele Stimmen entsteht ein Einheitliches – damit wären wir wieder am Anfang, bei der musikalischen Fuge.
Mit einem Zitat von Stefan Moses, dem großen Porträtfotografen, möchte ich schließen. Er spricht davon, dass eine Fotografie nicht nur einen Augenblick festhält, sondern einen Zustand.
Dies gilt auch für die Arbeiten von Sanne Blessing, obwohl sie keine Porträtfotografin ist: Die Wellen, die an Land gespült werden, die Blätter, die auf den Boden geweht werden, das gefrorene Eis, der Schnee, der verweht wird, die Wolkenformationen am Himmel, all dies fotografiert Sanne Blessing. Eigentlich sind es momentane Augenblicke, doch werden die entstehenden Fotografien durch den spezifischen Blick der Fotografin zu allgemeingültigen Zuständen. In der Kombination der Einzelbilder, den Collagen und Installationen, werden diese an sich schon ausdrucksstarken Elemente zu besonderen, tiefen, manchmal rätselhaften Bildern.
Dies zu finden, sich durch die Bilder führen zu lassen, die Welt von Sanne Blessing zu entdecken und sie vielleicht mit der eigenen zusammen-zu-fügen, wünsche ich allen Betrachtern dieser Ausstellung, angefangen mit den heutigen Besuchern.
auszug aus veröffentlichung in süddeutsche zeitung von ankelika steer 17.o6.2o13
Schönheit im Detail - Die Fotografin Sanne Blessing zieht mit der ausstellung die Besucher in ihren Bann
Die Künstlerin und Architektin Sanne Blessing ist seit 30 Jahren mit ihrer Kamera unterwegs und fotografiert ihren unmittelbaren Lebensraum. Sie verwendet dabei keine digitalen Verfremdungstechniken, arbeitet rein analog und lichtet ihre Umgebung so ab, wie sie sie vorfindet. Dergestalt ist Sanne Blessing eine würdige Vertreterin der reinen Fotografie, der Schule des Sehens. Und angesichts ihrer beeindruckenden Arbeiten darf man sich auch getrost fragen, wozu der ganze technische Aufwand der modernen Medien überhaupt notwendig ist.
Die Natur spielt in ihrem Darstellungskatalog eine tragende Rolle. Für ihre Arbeit `störung´ formte sie aus 64 unterschiedlichen Aufnahmen des Elements Wasser eine Art Bildteppich. Die laminierten Abzüge, mit Hilfe von Kabelbindern miteinander verbunden, hängen als Raumteiler im Ausstellungsraum der Gröbenzeller Bürgerhauses und sind von zwei Seiten zu betrachten. Zwischen Wasserspiegelungen, ruhigen oder bewegten Wasseroberflächen in Großaufnahme oder Totalansicht, trüben oder klaren Wasserläufen in verschiedenen Tagesstimmungen, stößt der Betrachter aber auch auf ein Lichtbild, das eine Ansammlung von grauen Stühlen zeigt. Ursprünglich hatte die Künstlerin ihr Exponat für eine Informationsveranstaltung zur umstrittenen Flughafenerweiterung von Oberpfaffenhofen kreiert. Beim Anblick der Stühle kamen ihr die grauen Herren aus Michael Endes berühmten Roman `Momo´ n den Sinn. Doch wie in all ihren Fotografien bleibt der Mensch auch hier unsichtbar.
Derartige Brüche im Motiv findet man oft in den Werken von Sanne Blessing. `freiheit.geführt´ zeigt mehrere Detailaufnahmen von Bahngleisen. Diese führen nirgendwohin, verlaufen geradeaus oder bilden ein scheinbar chaotisches Durcheinander aus Weichen. Doch immer bieten sie auch die Option, sich vom augenblicklichen Standort zu entfernen. Wäre da nicht das rote Signallicht, das eine Weiterfahrt unterbindet. Einzelaufnahmen wird man bei Sanne Blessing nicht finden, sie arrangiert ihre Abzüge zu aussagekräftigen Serien oder zu Paaren wie beispielsweise ihre eindrucksvollen ´pendant-s´. Die Fotografin stellt Nahaufnahmen von Gebrauchsgegenständen oder anderen menschlichen Errungenschaften idyllischen Landschaftsbildern gegenüber. Übereinstimmungen in den Motiven ergeben sich jeweils durch Farben oder formale Elemente. Die Linienführung eines grünen Wellendaches, findet sich in einem gerodetem Feld wieder, der türkisblaue Lackanstrich eines Fischerbootes im abendlichen Wolkenspiel über einem Bootssteg. Wunderbar sind auch die Übergänge zwischen einzelnen Bildern, die miteinander zu kommunizieren scheinen. So setzt sich in der dreiteiligen Serie ´eisbänder´ ein schmaler Wasserlauf, der sich durch den Schnee windet, im Schattenwurf eines Baumes fort, der die Krümmung des Rinnsals aufnimmt.
immer wieder frappierend sind vor allem Sanne Blessings Nahaufnahmen, die gegenständliche Motive in reinste Abstraktionen verwandeln. Detailaufnahmen von weißen oder grünen Plastikfolien, die heutzutage Getreide- und Heuballen ummanteln und überall in der Landschaft zu finden sind, bilden ihre beiden Arbeiten ´9xweiss´ und ´9xgrün ´. Der Fotografin gelingt es dabei, dem profanen material Schönheit zu verleihen. Die Kunststoffbahnen sind nicht glatt, sondern bilden Falten und ornamentale Muster. Die Aufnahmen sind von außergewöhnlicher Plastizität, ihre Zweidimensionalität wird beinah außer Kraft gesetzt.
meinung von günther leibig, kreiskrankenhaus starnberg gmbh zu den ausstellungen in den internistischen stationen in starnberg und penzberg vom 13.1o2o12 bis o2.o2.2o13
Die Ausstellung war in jeder Hinsicht herausragend!
Sanne Blessing arbeitet mit kritischem Blick, will nicht gefällig sein und schafft dabei doch Ästhetisches. Ein vermeintlicher Widerspruch löst sich auf! Wer sich ihren Arbeiten aufmerksam nähert, dem können sich leicht neue Perspektiven eröffnen. Ein vermeintliches Klischee wird hier ganz leicht wahr.
Neben den künstlerischen Qualitäten, besticht vor allem die Präsentation der Ausstellung. Ohne zu übertreiben, kann ich sagen, dass in meiner 13jährigen Tätigkeit, in der ich Kunstausstellungen im Klinikum Starnberg begleite, eine derartige Perfektion nie gesehen habe!
Die Rückmeldungen von Patienten, Mitarbeitern und Besuchern waren durchwegs positiv.
auszug aus veröffentlichung in penzberger merkur von wos 2o.o3.2o13
... Rätselnd steht der Betrachter vor den Fotos. Sie zeigen Linien, Kurven, aufgeraute Flächen. Die Ausschnitte sind schwer zu identifizieren. Doch nach einer Weile stößt man drauf: Es sind Nahaufnahmen von Silo-Ballen, wie sie auf den Feldern zu finden sind..... Die Motive findet Sanne Blessing überall: ob es die Formen sind, die der Rost in Metall frisst, oder das Spiel von Wind uns Wasser mit seinen Reflektionen und Spiegelungen. Sie will Skepsis gegenüber dem wachrufen, was wir sehen. S.B. fotografiert nicht digital, sondern analog. Sie verfremdet die Ergebnisse nicht. Was wirkt ist der Ausschnitt...
Blickpunkte auch auf unsere uns umgebende Natur, die wir auch zu bewahren haben - Sie sehe ich mit Ihrem Kunstwerk auch als Bewahrerin. So haben Sie vielen Dank - lassen Sie weiter tragen an diesem inneren Auftrag - Sie sind dort nicht allein.
Ihre Heike Friedrich
einführung von peter götz zur ausstellung >blickfreigang< im alten gefängnis, freising im rahmen der vernissage am 1o.12.2oo9
Meine Intention war, zu den ausgestellten Arbeiten hinzuführen und die Auseinandersetzung mit ihnen in Gang zu bringen. Ich wollte vor allem zeigen, wie die Künstlerin daran arbeitet, aus ihren Fotografien ‚Objekte‘ zu machen und wie ‚Mehrgliedrigkeit‘ ein zentrales Instrument darstellt bei Ihrem Bemühen, „Blick-Werke“ zu schaffen.
Vier Werkgruppen habe ich näher betrachtet: Störung, eisbänder, pendant’s und blüte-n.
Störung, 63 teilig
Die unerwartet „naturnahe“ Präsentation mit Bambusstäben als Traggerüst erinnert an die vormalige erste Hängung der Arbeit im Freien unter Bäumen.
Anlass war eine Gruppenausstellung von Künstlern, die mit ihrer Ausstellung gegen den Versuch, den Flughafen in Oberpfaffenhofen zu erweitern oder intensiver zu nutzen, Position bezogen haben und sich mit dem Phänomen der Störung auseinandersetzten.
Interessant ist, auf welche eigenständige Weise Sanne Blessing versucht hat, an das Thema heranzugehen.
Wenn man Kritiken zur Arbeit liest, findet man solche, die von der Naturhaftigkeit, den schönen Wasseroberflächen schwelgen und in der vermeintlichen Preisung des Schönen den Protest gegen den Einbruch des Technischen, gegen die Störung sehen.
Tatsächlich ist die Sache komplexer. Ich habe Sanne Blessing gefragt, was es angesichts der zahllosen Wasserblicke bei unterschiedlicher Witterung, unterschiedlicher Bewegtheit des Wassers und unterschiedlichen Einspiegelungen eigentlich mit dem Thema Störung auf sich hat.
Die Antwort war verblüffend einfach: Sie betrachtet die Wasseroberfläche als Spiegel und die Wasseroberfläche bedeutet eine Störung für das Bild, das sich im Wasser spiegelt bzw. umgekehrt für den Blick in die Tiefe oder auf den Grund.
Wenn uns bewusst wird, dass wir sowohl das Relief des Wassers sehen und damit den Wind als auch das, was wir nur vermittelt über die Spiegelung sehen, nämlich den Himmel, die Lichtstimmung, das Wetter, dann merkt man, wie komplex diese Bilder tatsächlich sind.
Die Hartnäckigkeit, mit der sie wie eine Jägerin an diesem Motiv bleibt, ist stärker als ein Bemühen um Befragung zu verstehen, denn als ein Ausbreiten von Antworten.
Die künstlerische Absicht liegt in der Wachrufung von Skepsis gegenüber dem, was wir sehen. Das vermeintlich Schöne ist dann richtiger eine Anfrage an unser Sehen und unser Verstehen.
Der Blick auf eine leere Bestuhlung, der sich in seiner seriellen Gestalt in den Rhythmus der Wellen unkompliziert einfügt, bildet ein widerspenstiges inhaltliches Einsprengsel, eine vorsätzliche Störung auf der Ebene des Motivs.
eisbänder, 1Teil, aus 7 oder 8 Bildfacetten montiert
Aufnahmen aus Streifzügen durch winterliche Landschaften sind zu einem neuen Gesamtbild montiert.
Sanne Blessing hat nicht einfach einzelne Eindrücke genommen und eins zu eins aufgehängt, sondern sie hat versucht, das Material noch einmal zu verdichten und zu einem Bild zu komponieren.
Betrachtet man das Ergebnis, scheint es, dass die montierten Komponenten miteinander etwas Neues ergeben: eine Mikrolandschaft, deren Reiz in der Ambivalenz liegt. Die neue Landschaft verschweigt nicht, dass sie von einem kleinen Maßstab her rührt, sie kann aber auch als bildnerische Übersetzung des Landschaftlichen überhaupt gelesen werden.
Im Detail handelt es sich um kleinste Bildausschnitte, oft Dinge, die man zwar kennt, aber die man wahrscheinlich in der Realumgebung übersehen würde. Sanne Blessing hat ein sehr geschärftes Auge für solche grafischen Besonderheiten oder überhaupt für Ereignisse in der kleinen Natur. Und aus der Nähe entstehen dann in diesen Aufnahmen Überraschungen. So genau hat man sich das eigentlich noch nie angesehen. Es entsteht eine Sensibilisierung für diese Formenwelt.
pendant´s, 2 teilig
Bei der Gruppe der pendant´s könnte man von einer exemplarischen Versuchsanordnung sprechen, bei der aus der Paarung zweier gleichwertiger Teile eine bipolare Struktur der Kommunikation aufgebaut wird. Sie kann als Urtyp jeder mehrperspektivischen Kompositionsstrategie aufgefasst werden.
Obwohl spielerisch gehängt, steckt hinter den Arbeiten ein strenges Konzept. Ein größeres nahsichtiges Bild wird mit einem kleineren fernsichtigen kontrastiert, das einen landschaftlichen Ausschnitt zeigt. Die gewählte Darstellungsgröße verhält sich dabei komplementär zur Größe des dargestellten Wirklichkeitsausschnitts.
Aufgrund der durch die Hängung suggerierten Verbindung wird dem Betrachter zugemutet, zwischen beiden Bildern eine Beziehung herzustellen oder zu suchen.
Auf ein Beispiel möchte ich näher eingehen (pendant 2).
Es beschäftigt mich weniger wegen der Landschaft und ihrem verhalten melancholischen Stimmungswert, –eine weiche, etwas neblige, atmosphärisch aufgeladene Landschaft in Tiefenschichtung, wie sie zu bestimmten Tages- und Jahreszeiten anzutreffen ist, - sondern wegen des nahsichtigen Bilds, weil das so extrem plastisch ist und man so nah und frontal an ein Objekt herangeführt wird, ohne dass man es mit letzter Sicherheit bestimmen kann. Der gezeigte Gegenstand ist technischer Natur, aufgrund des engen, ja harten Beschnitts kann nur vermutet werden, dass es sich um eine Radnabe mit Nieten und Speichen handelt, die vielleicht von einem älteren landwirtschaftlichen Gerät stammt.
Man spürt in den Arbeiten ein Zeitmoment. Natur und Zeit gehen über die gezeigten Objekte hinweg. Man wird Zeuge, wie sich die Dinge verändern, wie der Zahn der Zeit in die kunstvolle Geordnetheit der technischen Welt einbricht, die Lackschichten aufbricht, wie das bräunliche sich mit dem grünlichen mischt – und dabei ein missverständlich harmonisches Bild ergibt. Vergänglichkeit ist ein Thema.
Und da gibt es noch etwas: Frappierend ist, dass man, obwohl man so nah und genau schauen kann, eigentlich weniger über das Ding erfährt, als dass man zurückverwiesen wird auf sich selbst. Indem ich den Ausschnitt betrachte, habe ich zwar eine Fülle ästhetischer Phänomene, die mein Auge und mein Sehen beschäftigten, und ich versuche herauszubekommen, was das eigentlich ist, was ich da sehe. Aber es ist nicht damit erledigt festzustellen: „das ist eine Radspeiche“. Die Ausschnitte sind so zugespitzt und zugeschnitten, dass nicht die Benennung des Gegenstands bereits das Ende der Auseinandersetzung ist. Es verhält sich umgekehrt: Der Beschnitt befreit von einer dinglichen Gegenständlichkeit und eröffnet eine malerische und grafische Breite, mit einem über den Anlass hinaus gehenden Stimmungswert, dass ein intensiver Prozess anhebt, der zu keinem spezifischen Ende kommt. Es sind also Bilder, mit denen man auch deshalb leben kann, weil sie einem immer wieder neu und anders zu beschäftigen vermögen.
Bei aller Frontalität bleibt eine Unbestimmtheit. Wir werden einer Nähe ausgesetzt, in der man sich verlieren kann.
Interessant ist, dass in der Nahsichtigkeit so etwas wie Luft fehlt. Der Blick ist unverstellt frontal und trotz der Nähe ziehen sich die Dinge in sich zurück. Das gleiche gilt für die ausgebreitete Landschaft, sie scheint sich zu entziehen – ins Ferne.
Hier ist der Punkt, wo wir schließlich wieder bei uns selbst anlangen.
blüte-n, 81 teilig
Abschließend möchte ich Arbeiten betrachten, bei denen das Verhältnis von Einzelbild zu Gesamtbild eine andere, aber ebenfalls bestimmende Rolle spielt.
Dadurch, dass alle Teilbilder vom Motiv her verwandt sind, ja, sich aus einer einzigen Bildquelle speisen und damit die Eigenständigkeit und Bedeutung des einzelnen Bilds geringer ist, versucht unser Sehen, alle Teile zusammen als Ganzes zu verstehen und interpretiert das Objekt als ein Bild.
Jede der drei Arbeiten fußt auf einer Mutteraufnahme, dem farbigen Foto einer Blüte, die in minimal lageverschobenen Ausschnitten variiert, bei gleicher Formatgröße so nebeneinander angeordnet werden, dass eine zentrierende Abbildung, bei der das abgebildete Objekt mittig sitzt, von einem Kranz von Varianten dergestalt umgeben wird, dass Ausschnitt und Lage korrespondieren. Der nach oben verschobene Ausschnitt liegt überhalb, der nach links versetzte links, der nach rechts verschobene rechts, usw.
Die Art, wie dieses Prinzip räumlich umgesetzt ist, dass die Einzelbilder auf Stempeln stehen und dass sie dem Betrachter unterschiedlich weit entgegen kommen, verstärkt das Gefühl, dass man das ganze Objekt als Versammlung einer Gruppe, als ein Bild lesen kann, das sich aus der Ferne schließt, in das man aus der Nähe aber wie in einen Blütenstand hineinzuschauen meint. Die Wahrnehmung flirrt.
Die Arbeit changiert zwischen Bild und plastischem Objekt.
Den pendant´s auf der gegenüberliegenden Wand nicht unähnlich bringt diese Arbeit unsere Wahrnehmung in Unruhe bzw. Vibration. Da ist nicht die Befriedigung am Schluss, etwas klar gesehen oder erkannt zu haben. Wenn Sie zuhause erzählen, was Sie gesehen haben, werden Sie zwar wohl den Aufbau der Anordnung beschreiben können, – also, dass eine Stahlplatte als Träger fungiert, in den Aufnahmevorrichtungen eingenietet sind, in die wiederum Stempel mit Bildträgern eingeschraubt sind –, aber das Ergebnis der Bemühung dieser Vorrichtung – die Wirkung – werden Sie nur schwer vermitteln oder beschreiben können.
Mir kommt es so vor, als seien visuelle Erfahrungen unserer unmittelbaren Gegenwart in die Arbeit eingeflossen. Ich denke an die digitale Bildbearbeitungs- und Präsentationssoftwaren mit ihrer flexiblen Möglichkeit zur Bildausschnittbestimmung oder an die interaktive Betrachtung dreidimensionaler virtueller Objekte mit der Möglichkeit zum filmähnlich lückenlos kontinuierlichen standpunktverändernden Umkreisen.
meinung von clemens pollok, architekt zur ausstellung >wasser< in wörthsee oktober 2oo8
Das >blickwerk< Sanne Blessings nimmt als Ausgangspunkt den unmittelbaren Lebensraum. Unsere Welt, alle Dinge, die uns umgeben, sind den 4 Urelementen, Feuer, Wasser, Erde, Luft ausgesetzt. Im Spiel mit diesen Elementen offenbart die ihr innewohnenden Dinge ihren Charakter, ihr Wesen. Oberflächen bekommen Masse und Farbe, Figuren und Muster, Strukturen und Schichten, Transparenzen und Schlieren. Mehr noch, es entstehen Bewegungen, Grenzen weichen auf, Übergänge beginnen zu verfließen. Die Arbeiten begeben sich auf die Suche nach diesen feinen Spannungen, Überlagerungen und Übergängen zwischen Endlichkeit und Entrücktheit, zwischen Starre und Beweglichkeit, zwischen Fluss und Wiederkehr, zwischen Vielfalt und Einzigartigkeit.
Auf der Suche nach dem Dahinter oder Darunter wird zunächst der Blick durch die Kamera gelenkt und eingeengt, um gleich darauf in dem eingeschränkten Motiv eine neue tiefere, intensivere Blickwelt zu eröffnen.
Diese neu entdeckte, unendlich reiche Welt erinnert den Betrachter an seine eigene innere Welt, seine fühlende Weite, bringt ihn in Kontakt mit der Chance sehend zu fühlen.
Unter der Anleitung der Bilder und Bildkompositionen Sanne Blessings kann der Betrachter seine eigenen Sehgrenzen überschreiten, seine Sinne weiten und neuen Raum gewinnen ohne den Boden des Konkreten zu verlassen. Alle dargestellten Motive sind Teil unserer Wirklichkeit und in jedem Moment als solche identifizierbar.
Auf dem Weg durch die Ausstellung wird sichtbar, welch wertvoller, unerschöpflicher Reichtum an Sichtbarem uns umgibt, der im Letzten auf den unsichtbaren, inneren Reichtum und Möglichkeit zur Tiefe unserer Wahrnehmung und Intensität verweist.
auszug aus veröffentlichung in starnberger merkur von astrid amelungse-kurth o7.1o.2oo8
Ein Kniefall vor Mutter Natur
´Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser!`, ließ Goethe die Geister singen, eine Hymne an die Ungründlichkeit. Wasser ist Quell des Lebens, es reinigt, tötet und belebt und steht in archaischen Kulturen für Wiedergeburt und Neubeginn. In der Bibel taucht der Gedanke vom ´Wasser der Weisheit´ auf, in der Tiefenpsychologie ist das dunkle Wasser Symbol des Unbewussten. Für Sanne Blessing, .... , ist das Wasser wie es in der Natur in Flüssen und Seen vorkommt, vor allem Spiegelung, Schichtung, Oberfläche. Seine Wahrnehmung bedeutet ihr Irritation, seine Transparenz ein Spiel mit Licht, Materie, Tiefe, Untergrund, Struktur. Dies festzuhalten, hat sich die Künstlerin, ...., zur Aufgabe gemacht und für die Flugkunst-Ausstellung in Weßling einen transparenten Teppich aus fotobedruckten Plastikfolien zusammengenäht - mit Plastik-Kabelklemmen, die durch die weitmaschigen Ösen dem Ganzen schwebende Leichtigkeit verleihen.
Dieses ´Geflecht´, auf dem fotos von Wasserspiegelungen aufgedruckt sind, ist nun neben anderen Wasserfotos in der Galerie... zu sehen. Jedes einzelne Farbfoto ist ein Kniefall vor der Schönheit der Natur, des bewegten Wassers von Seen und Flüssen. Je nach Licht, Untergrund, Himmel, Ufer, das sich im Wasser spiegelt, je nach Bewegtheit und Farbigkeit erscheint das Wasser fest wie Metall, zäh wie Öl, zart wie ein Atemhauch, exotisch wie die Südsee oder abweisend wie Eisnadeln. Sanne Blessing verfügt über eine ungeheure Sensibilität in der Wahrnehmung, formt Materie, löst sie auf und wertet sie um.
auszug aus veröffentlichung in süddeutsche zeitung von ingrid zimmermann 1o.1o.2oo8
Das Abstrakte am Wasser
Wasser, das Lebenselixier unseres blauen Planeten, zieht von jeher darstellende Künstler an, Maler wie Fotografen. Ständig wechseln seine Farben, nie ist es still, auch wenn es so scheinen mag, das Licht versinkt darin und bricht sich, und alles was Form hat rundherum spiegelt sich, während sich im Spiegelbild ständig diese so eindeutige Form verändert. Die Architektin und Fotografin Sanne Blessing ... ist mit ihrer Kamera zu einer gleichermaßen sensiblen wie leibenden Jägerin des Wassers geworden. dazu gibt es im Fünfseenland genügend Gelegenheiten, von sturmgepeitschten Wellen des Starnberger Sees, auf denen Fönlicht des Himmels glitzernd zerbirst, über Eiskanten, an denen nach dem Winter schon das auf Befreiung wartende Wasser leckt, bis zur stinknormalen, in vielen Grautönen schimmernden Pfützen auf einem Gehweg. Dies und noch viel mehr von dem, was das Wasser an Wundern zustande bringt, ist zu sehen. ...
Aus mehr als sechzig Farbaufnahmen, jedes mit eigenem Charakter, hat die Fotografin mit Hilfe transparenter Kunststoffbänder eine Installation zusammengestellt, die frei im Raum hängt und sich, dem Wasser entsprechend, bei jedem Luftzug bewegen kann. Weitere Motive hat sie auf kleine Quadrate aus speziellen Platten, die sich nicht verziehen, aufgebracht. Man kann Serien von ihnen nach Lust und Laune zu eigenen Wandinstallationen zusammenstellen.
Was nicht erwartet werden darf, ist Idylle und Romantik unserer Seenlandschaft. Sanne Blessing gewinnt dem Spiel der Wellen die grafische Seite ab. Licht der Stunde, Himmelstimmung und Wiederschein der Umgebung liefern dazu immer wieder andere Farbklänge. So sind Abstraktionen entstanden, die verwandt zu sein scheinen mit der Farbfeldmalerei, ins Konkrete geholte Ausschnitte aus der Wunderwelt des Wassers, Aufforderungen im Kleinen das Große zu sehen.